Viele Menschen leiden an Erkrankungen der Wirbelsäule, sei dies alters-/verschleissbedingt, durch einen Unfall oder eine Tumorerkrankung. Bei den meisten Wirbelsäulenerkrankungen gibt es keine Standardbehandlung, sondern verschiedene auf den Patienten abgestimmte Therapieansätze, ohne und mit Operation. Welche Faktoren die Behandlung beeinflussen und was bei einer Wirbelsäulenoperation schliesslich vor sich geht, bringe ich Ihnen gerne in den folgenden Zeilen näher.
Zu den häufigsten Wirbelsäulenerkrankungen gehören Bandscheibenvorfälle (Diskushernien) oder die Spinalkanalstenose (auch Spinalkanalverengung oder Wirbelkanalverengung genannt). Bei beiden Krankheitsbildern entsteht ein Druck auf die Nerven, der zu Schmerzen, Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen führen kann. Ziel der Behandlung ist, die Schmerzen zu lindern und/oder eben die Ursache zu beseitigen, indem man die Nerven wieder «freilegt». Dazu gibt es verschiedene Behandlungsmethoden.
Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen mit und ohne Operation
Wenn möglich versucht man, Wirbelsäulenerkrankungen zuerst konservativ zu behandeln, das gelingt in den meisten Fällen mit einer medikamentösen Schmerzbehandlung und Physiotherapie. Auch die alternative Medizin kann unterstützend zum Tragen kommen, zum Beispiel mit Akupunktur. Wichtig ist auf jeden Fall, in Bewegung zu bleiben, um die Rückenmuskulatur zu stärken. Bettruhe und völlige Schonung sind in der Regel nicht sehr förderlich. Reichen einfache Schmerzmittel nicht aus, kann die Schmerztherapie auch über sogenannte «Infiltrationen» stattfinden, so dass die Medikamente und Schmerzmittel (z.B. Cortison) direkt unter radiologischer Kontrolle (also zum Beispiel mittels Röntgen) in das Schmerzgebiet gespritzt werden.
Auch bei den operativen Möglichkeiten gibt es verschiedene Stufen. Hauptziel bei neurochirurgischen Rückenoperationen ist es immer, die Nerven und das Rückenmark wieder «freizulegen» und dabei die Stabilität und die Funktionalität der Wirbelsäule zu erhalten. Die einfachste Variante ist die reine «Dekompression», bei der man in einer Operation die Nerven wieder freilegen kann, ohne weitere Massnahmen vornehmen zu müssen. Bei der nächsten Stufe wird dies mit Miniimplantaten unterstützt, was man zum Beispiel mit einer sogenannten «interspinösen Stabilisation» oder mit einem Mini-Bandscheiben-Teilersatz erreicht. Die Implantate werden so platziert, dass die Dornfortsätze der Wirbel abgestützt werden und dort der Nerv nicht mehr eingeengt wird. Oder man verschliesst ein Loch in der Bandscheibe durch ein kleines Miniimplantat. Ein solcher zusätzlicher Schritt verlängert die Dauer der Operation nur wenig und gelingt durch einen winzigen Zugang, ohne viel Gewebe zu zerstören.
Ein grösserer Eingriff ist dann die sogenannte Wirbelversteifung (auch Wirbelfusion genannt). Diese macht man, wenn zusätzlich eine stärkere Stabilisation nötig ist. Mit Schrauben und Stäben werden dabei zwei oder mehr Wirbel versteift. Je langstreckiger die Versteifung ist, desto komplexer ist der Eingriff. Eine Versteifung kann nötig sein, wenn die Wirbelsäule bereits instabil ist oder wenn sie instabil gemacht werden muss, damit man die Nerven und das Rückenmark überhaupt freiliegen kann. Ebenso ist bei manchen Tumoren, Infektionen oder Brüchen eine Versteifung nötig.
Individuelle Entscheidungsfaktoren
Pauschal lässt sich nicht sagen, wann bei Wirbelsäulenerkrankungen konservativ behandelt werden kann und wann eine Operation in welchem Umfang Sinn macht. Die individuelle Situation des Patienten bestimmt die personalisierte Behandlung.
Ein grosser Indikator ist natürlich die Diagnose anhand der Bildgebung (je nachdem Röntgen oder MRI). Doch auch diese bestimmt nicht immer eindeutig, wie vorzugehen ist. In vielen Fällen kann man dem Patienten verschiedene Optionen aufzeigen. So kann der Patient nach eigenem, subjektivem Empfinden entscheiden, ob er mit den Beschwerden weiter leben oder eine Operation möchte. Das Ganze ist auch abhängig von der Lebenssituation und den Erwartungen des Patienten.
Nehmen wir als Beispiel die Spinalkanalstenose, bei der es verschiedene Schweregrade gibt: Leichtgradige, mittelgradige, hochgradige oder absolute Stenosen. Bei einer hochgradigen oder absoluten Stenose haben die Nerven praktisch keinen Platz mehr und der Patient kann nur noch ein paar Minuten am Stück gehen. In einem solchen Fall ist relativ klar, dass eine Operation sinnvoll ist.
Bei anderen Schweregraden hängt der Entscheid für oder gegen eine Operation aber nicht alleine von den Bildern ab. Es gibt Patienten, die auf dem Röntgenbild eine ausgeprägte Stenose zeigen, aber relativ wenige Symptome haben; umgekehrt gibt es Patienten mit einer leichten Verengung des Spinalkanals und vielen Symptomen. Die Kunst ist da, dies alles in eine Waagschale zu werfen und anhand von Erfahrung und operativen Möglichkeiten dem Patienten die Optionen aufzuzeigen. Bei der Entscheidung spielen dann vor allem auch die Lebensumstände und Erwartungen des Patienten eine Rolle. Zum Beispiel: Wie körperbelastend ist seine Arbeit, wie viel und welchen Sport möchte er weiterhin treiben? Wichtig ist, dass Arzt und Patient gemeinsam ein Ziel festlegen. Ein konkretes Ziel kann zum Beispiel sein, im Alltag möglichst schmerzfrei zu sein und einmal pro Woche (allenfalls dank einer Schmerztablette) Tennis spielen zu können.
Wenn jemand gut damit zurechtkommt, zweimal im Jahr eine Infiltration zu machen und so seinen gewünschten Sport treiben kann, steht eine Operation nicht im Vordergrund. Wenn er aber die Infiltration alle vier Wochen braucht, ständig Schmerzen hat und seinen Gewohnheiten nicht mehr nachgehen kann, sollte man eher über eine Operation nachdenken.
Weitere Entscheidungsfaktoren sind die Nebendiagnosen und das Operationsrisiko: Leidet zum Beispiel ein Patient an Diabetes, sind mehrere Kortison-Infiltrationen nicht sinnvoll und eine Operation steht eher im Vordergrund als eine Schmerztherapie. Hat hingegen ein Patient ein hohes Operationsrisiko (zum Beispiel aufgrund einer Herz- oder Lungenerkrankung oder Fettleibigkeit), ist man mit einer Operation eher zurückhaltender und versucht es weiter konservativ.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Behandlung immer sehr individuell ist und sich aus folgenden Faktoren ergibt: Diagnose aus der Bildgebung, persönliches Schmerzempfinden des Patienten, dessen Lebensumstände und Erwartungshaltung, Nebendiagnosen und das Operationsrisiko. Aufgrund dieser Basis zeigt der Arzt dem Patienten die Optionen auf, bespricht diese mit ihm, sodass der Patient gut informiert entscheiden kann. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg bleibt die Erwartungshaltung des Patienten an die Operation und das Vertrauen zum Chirurgen.
Mehr Sicherheit bei Rückenoperation dank technologischem Fortschritt
Viele Patienten haben grossen Respekt vor Operationen am Rücken. Natürlich besteht bei jedem Eingriff ein gewisses Risiko, das sorgfältig abgewogen werden muss. Allerdings sind die Operationen im Vergleich zu früher viel risikoärmer geworden: Narkosemethoden sind sicherer, die Operationszeiten kürzer und die Implantate einfacher zu handhaben. Die Zugänge sind kleiner, da viele Operationen minimalinvasiv, also mit viel weniger Verletzungen des Gewebes gemacht werden können.
Auch das Equipment im Operationssaal hat sich massiv verbessert. Zum einen arbeiten wir mit modernsten Mikroskopen (Vergrösserung) und/oder Endoskopen (Blick ins Innere mittels Kamera). Bei komplexen Situationen, wenn man zum Beispiel die Nerven nicht genau sieht, wird zudem ein Neuromonitoringeingesetzt. Dabei werden die Nerven mit Strom stimuliert, sodass wir eine Reizantwort erhalten und die Position der Nerven lokalisieren können. Damit verhindern wir, dass wir an einer falschen Stelle schneiden oder Implantate zu nah an Nerven platzieren.
Ganz wichtig ist auch die 3D-Navigation mit intraoperativer Bildgebung. Bei Gehirnoperationen setzen wir diese Technologie seit Jahren routinemässig mit Erfolg ein. Die Navigation wird bei Rückenoperationen vor allem für Versteifungen eingesetzt und ermöglicht uns, diese minimalinvasiv vorzunehmen, ohne immer wieder röntgen zu müssen. Die 3D-Navigation funktioniert ähnlich wie ein GPS-System fürs Auto: Zuerst wird ein 3D-Bild erstellt. Am Patienten wird ein Referenzstern angebracht, ebenso an allen Instrumenten. Die Kamera funktioniert wie ein Satellit im Operationssaal und kann dann die Position der Sterne zum 3D-Bild des Körpers referenzieren. Das heisst, wenn ich zum Beispiel mit dem Instrument auf einen Knochen gehe, weiss der Computer genau, wo ich bin, was ich dann in Echtzeit auf dem simulierten Bild auf dem Monitor sehe. So kann ich minimalinvasiv Schrauben einsetzen und muss nicht, wie früher, die ganze Muskulatur ablösen, um überhaupt etwas sehen zu können. Die 3D-Navigation kann auch einen virtuellen Weg der nächsten 1-200 mm vorzeichnen (simulieren), womit man verhindert, dass man in falsche Strukturen bohrt. Am Schluss gibt es wieder ein intraoperatives 3D-Bild in CT-Qualität, um zu sehen, wie die Implantate sitzen. Damit wird verhindert, dass man später eine zweite Operation machen muss, um die Implantate in die korrekte Position zu bringen.
Wann es bei einer Wirbelsäulenerkrankung eine Operation braucht und wie sich diese gestaltet, lässt sich also nicht pauschal beantworten. Jede Behandlung soll individuell entschieden und geplant werden und die heutige Technik soll diese so sicher wie möglich gestalten.
Beitrag von PD Dr. med. Ali-Reza Fathi, Facharzt für Neurochirurgie und spezialisiert auf Gehirn-, Rückenmark-, und Wirbelsäulen-Operationen.